Die Häufigkeit unerwünschter muskulo-skelettaler Ereignisse unter androgendeprivativer Therapie (ADT): eine Übersicht

Priv.-Doz. Dr. med. Henrik Suttmann

Facharzt für Urologie

Urologikum Hamburg
Harksheider Straße 3
22399 Hamburg

Hintergrund

Die unerwünschten Nebenwirkungen (UE) einer ADT nehmen im Allgemeinen mit zunehmender Behandlungsdauer zu. Ausnahmen wie das stark erhöhte Risiko kardiovaskulärer Ereignisse bereits im ersten halben Jahr nach Therapiebeginn bestätigen diese Regel.1 Die wichtigste Strategie zur Vermeidung solcher UE ist eine strenge Indikationsstellung, wobei der Therapienutzen den Schaden durch die zu erwartenden UE klar überwiegen sollte. Das Ausmaß der UE unter ADT hängt unter anderem vom Alter und den zu Behandlungsbeginn bestehenden Komorbiditäten, aber auch von vielen weiteren, noch nicht näher bekannten Faktoren ab.2

Knochendichteverluste unter ADT

Ein chirurgisch und/oder medikamentös induzierter endokriner Hypogonadismus führt zu einer beschleunigten Resorption von Knochenmasse. Verantwortlich hierfür ist vermutlich eher ein erniedrigter Östradiolspiegel (aufgrund der reduzierten Aromatisierung aus Testosteronvorläufermolekülen) als ein erniedrigter Testosteronspiegel. Die positiven Einflüsse des Testosterons auf Knochengesundheit und -mikrostruktur scheinen mehr ein indirekter Effekt der anabolen Wirkung auf die Muskelmasse zu sein.3 Im Gegensatz zu dem jährlichen Knochendichteverlust von 0,5 – 1 % bei sonst gesunden alternden Männern ist dieser bei Patienten unter ADT um das 2- bis 7-fache verstärkt. Breitflächig verfügbare Messverfahren zur Bestimmung der Knochendichte (z. B. DXA-Scan) unterschätzen diesen Knochendichteverlust tendenziell. Einer aktuellen Studie zufolge beträgt der Knochendichteverlust im ersten Jahr nach ADT-Start bereits 6,3 – 11,3 % im Vergleich zu 1,5 – 3,9 % in einer Kontrollgruppe.4 Der Knochendichteverlust setzt sich danach fort, allerdings mit geringerer Geschwindigkeit.

Die Folge: gesteigertes Frakturrisiko

Eine Korrelation zwischen Knochendichteverlust und erhöhter Frakturrate ist gut belegt. Männer unter mindestens sechsmonatiger ADT haben ein um 65 % erhöhtes relatives Frakturrisiko. Das relative Risiko isoliert betrachtet für Wirbelkörperfrakturen steigt um etwa 39 %. Retrospektive Untersuchungen ergeben nach > 5 Jahren ADT eine Frakturinzidenz von rund 20 %. Bei jedem 28. Patienten unter GnRH-Agonisten und jedem 16. Patienten nach chirurgischer Kastration treten Frakturen auf.5 Ein erhöhtes Frakturrisiko birgt auch das Risiko einer erhöhten Fraktur-bedingten Mortalität. Auf der SEER-Datenbank basierende Statistiken zur Sterblichkeit von Männern unter ADT zeigen eine doppelt so hohe Mortalität für Patienten mit Frakturen im Vergleich zu solchen ohne.6

Parallel zum Verlust an Knochendichte verlieren Männer im ersten Jahr unter ADT etwa 3 % ihrer Muskelmasse, den Großteil bereits in den ersten 6 Monaten. Die Qualität der Studien zur Entwicklung des Muskelmasseverlusts unter ADT liegt deutlich unter der zur Entwicklung der Knochenmasse. Im Anschluss an das erste Jahr wird eine jährliche Abnahme der Muskelmasse unter ADT von etwa 1 % angenommen.2

Fazit

Patienten nach chirurgischer Kastration scheinen insgesamt etwas gefährdeter bezüglich der Entwicklung ADT-assoziierter UE zu sein als Patienten unter LHRH-Agonisten oder GnRH-Antagonisten, wobei es sich hier um statistisch unzulässige literaturübergreifende Zahlenvergleiche handelt.1,2

In einer gepoolten Analyse zeigte sich ein signifikant erniedrigtes Risiko für die Entwicklung muskulo-skelettaler Ereignisse zugunsten des GnRH-Antagonisten Degarelix im Vergleich zu LHRH-Agonisten* (8 % vs. 12 %) bei entsprechend behandelten Prostatakarzinompatienten. Das Frakturrisiko unterschied sich in der gepoolten Analyse bereits im ersten Beobachtungsjahr (HR = 0.42 95 % CI 0.16 – 1.05; p = 0.065), die Signifikanz war allerdings borderline.7 Hinsichtlich möglicher Ursachen für diesen Unterschied wird eine potentielle Rolle der im Vergleich zu LHRH-Agonisten* verbesserten Suppression von FSH durch Degarelix diskutiert, da FSH einen fördernden Einfluss auf Tumorprogression und Knochendichteverlust zu haben scheint.8 Welche Patienten unter ADT des Weiteren von osteoprotektiven Medikamenten besonders profitieren können ist Gegenstand aktueller Untersuchungen.

(1) Abdollah et al. Impact of adjuvant radiotherapy on survival of patients with node-positive prostate cancer. J Clin Oncol (2014) 32: 3939-3947
(2) Grossman et al. Androgens and prostate cancer; pathogenesis and deprivation therapy. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab (2013) 27: 603-617
(3) Drake MT & Khosla S. Male osteoporosis. Endocrinol Metab Clin North Am (2012) 41: 629-641
(4) Hamilton et al. Structural decay of bone microarchitecture in men with prostate cancer treated with androgen deprivation therapy.  J Clin Endocrinol Metab (2010) 95(12): E456-63
(5) Shahinian et al. Risk of fracture after androgen deprivation for prostate cancer. N Engl J Med (2005) 352: 154-164
(6) Beebe-Dimmer et al. Timing of androgen deprivation therapy use and fracture risk among elderly men with prostate cancer in the United States. Pharmacoepidemiol Drug Saf (2012) 21: 70-78(7) Bosnyak et al. Differential effects of medical androgen deprivation therapies on serum alkaline phosphatase levels in men with prostate cancer. Poster NUF Congress 2015
(8) Klotz et al. Disease control outcomes from analysis of pooled individual patient data from five comparative randomised clinical trials of degarelix versus luteinising hormone-releasing hormone agonists. Eur Urol (2014) 66: 1101-1108

*Leuprorelin und Goserelin