Kardiovaskuläre Komorbiditäten unter androgendeprivativer Therapie: aktuelle Daten einer großen schwedischen Kohortenstudie

Priv.-Doz. Dr. med. Henrik Suttmann

Facharzt für Urologie,
Zusatzbezeichnungen Andrologie/
medikamentöse Tumortherapie

Urologikum Hamburg
Harksheider Straße 3
22399 Hamburg

Hintergrund

Neben den therapeutischen Vorteilen bei der Therapie des Prostatakarzinoms (PCa) ist eine ADT mit diversen unerwünschten Wirkungen vergesellschaftet. Hierzu zählen auch verschiedene metabolische Veränderungen wie eine erhöhte Insulinresistenz, Lipidstoffwechselstörungen sowie ein erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen/Komplikationen (CVD). Insbesondere die klinische Relevanz dieser CVD – mutmaßlich hervorgerufen durch eine Inhibition der kardioprotektiven Eigenschaften des Testosterons unter ADT – wird in den vergangenen Jahren zunehmend kritisch diskutiert. Hier existiert eine widersprüchliche Datenlage: während Beobachtungsstudien tendenziell ein erhöhtes CVD-Risiko unter ADT zu bestätigen scheinen, ist dieser kausale Zusammenhang aus prospektiv-randomisierten Therapiestudien nicht klar entnehmbar. Ein Hauptproblem bei der Interpretation der zur Verfügung stehenden Literatur stellt vor allem die fehlende Verfügbarkeit von Informationen zur kardiovaskulären Anamnese zu Therapiebeginn sowie die Zusammensetzung und klare Definition der Kontrollgruppen dar.1,2,3,4,5,6

In der vorliegenden Arbeit wurde versucht, einen Teil dieser Kritikpunkte zu adressieren.7

Methodik

In der großen PCBaSe Sweden 2.0 Datenbank sind seit 1998 landesweit rund 98 % aller neudiagnostizierten PCa-Erkrankungen registriert. Durch eine Koppelung an das nationale schwedische Krebsregister liegen für diese betroffenen Patienten umfangreiche Daten über Diagnostik, Tumorstadium, PSA-Verlauf sowie zur Therapie vor. Des Weiteren ermöglicht eine Verbindung der Datensätze zu nationalen Gesundheitsdatensammlungen sowie zu demographischen Datenbanken eine umfangreiche Akquisition von Informationen u.a. über Begleitdiagnosen, Krankenhausaufenthalte, sozioökonomischen Status sowie Todesursachen.

Für die aktuelle Untersuchung wurden PCa-Patienten identifiziert, die eine Hormonmanipulation entweder als primäre oder Progressions-getriggerte Therapie erhielten.7

Es wurden 5 Untergruppen gebildet. Diese umfassten PCa-Patienten mit

  1. antiandrogener Monotherapie (AA)
  2. LHRH-Agonisten
  3. LHRH-Agonisten + Antiandrogene (AA) als „flare protection“
  4. kombinierter Androgenblockade (CAB)
  5. chirurgischer Orchiektomie

Für die Analyse wurden mit Hilfe einer 10-stelligen persönlichen Identifikationsnummer aus der gesunden Bevölkerung für jeden PCa-Patienten bzgl. Alter und Wohnort „gematchte“ Männer identifiziert und eine Vergleichskohorte gebildet.

Ergebnisse

Die insgesamt 41.362 identifizierten Betroffenen verteilten sich auf die oben genannten Gruppen, wie Tabelle 1 zeigt.

Tabelle 1: Therapiegruppen nach O’Farrell et al.1

2015 04 09 Suttmann tabelle1

In Relation zur Vergleichskohorte wiesen PCa-Patienten unter LHRH-Agonisten (Gruppen 2 & 3 & 4) und nach chirurgischer Orchiektomie (Gruppe 5) – also Patienten unter einer ADT im engeren Sinne – ein erhöhtes CVD-Risiko auf (HR 1,21; 95 % CI 1,18-1,25 bzw. HR 1,16; 95 % CI 1,08-1,25).

Männer unter AA (Gruppe 1) wiesen ein eher erniedrigtes CVD-Risiko auf (HR 0,87; 95 % CI 0,82-0,91).

Interessanterweise steigt das CVD-Risiko bereits in den zwei Jahren vor Initiierung der Therapie mit LHRH-Agonisten leicht an (HR 1,15; 95 % CI 1,1-1,2), um dann im Gefolge der Behandlung sein Maximum zu erreichen (HR 1,28; 95 % CI 1,23-1,33).

PCa-Patienten mit CVD-positiver Anamnese weisen ein besonders hohes CVD-Risiko unter ADT auf, wobei dieses Risiko in den ersten sechs Behandlungsmonaten am höchsten zu sein scheint. Das CVD-Risiko war für LHRH-behandelte PCa-Patienten mit ≥ 2 CVD-Ereignissen in der Vorgeschichte, von denen eins zu Therapiebeginn nicht länger als ein Jahr zurücklag, in den ersten 6 Behandlungsmonaten am ausgeprägtesten (HR 1,6; 95 % CI 1,24-2,06) und ging danach etwas zurück.

PCa-Patienten nach chirurgischer Orchiektomie wiesen bei oben genannter CVD-Anamnese in den ersten sechs und auch in den darauffolgenden sechs Behandlungsmonaten ein deutlich erhöhtes CVD-Risiko auf (HR 1,79; 95 % CI 1,16-2,76 bzw. HR 1,91; 95 % CI 1,31-2,78).

Interpretation und Ausblick

Im Vergleich zu einer PCa-freien „gematchten“ Kohorte zeigt sich in dieser Untersuchung bei PCa-Patienten unter ADT mit LHRH-Agonisten ein konsistent erhöhtes Risiko, an einer kardiovaskulären Erkrankung/Komplikation zu erkranken.7 Die Tatsache, dass das CVD-Risiko bereits vor Beginn einer ADT ansteigt, bestätigt ältere Ergebnisse, dass die Krebsdiagnose allein schon einen CVD-Risikofaktor darzustellen scheint.8,9

Im Gefolge der ADT mit LHRH-Agonisten steigt dieses Risiko dann allerdings nochmals erheblich. Es stellt sich insbesondere in den ersten sechs Behandlungsmonaten besonders hoch dar und bei Patienten, die mit kardiovaskulären Ereignissen/Erkrankungen vorbelastet sind, besonders ausgeprägt dar. Dieser enge zeitliche Zusammenhang sollte besonders bei der Indikationsstellung pro/contra einer (neo-)adjuvanten ADT mit LHRH-Agonisten berücksichtigt werden. Des Weiteren sollte bei vorbelasteten Patienten – sofern möglich – eine Modifikation des individuellen kardiovaskulären Risikoprofils angestrebt werden.

(1) Albertsen P C et al. Cardiovascular Morbidity Associated with Gonadotropin Releasing Hormone Agonists and an Antagonist, Eur. Urol. 2014; 65: 565-573: Post-hoc Analyse aus sechs prospektiven randomisierten, kontrollierten Phase 3 Studien (n=2328), Vergleich GnRH-Antagonist Degarelix (n=1491) mit LHRH-Agonisten (Leuprorelin (n=379) und Goserelin (n=458)) in Bezug auf die Wirksamkeit. Die Analyse wurde aufgrund von Bedenken der FDA aus 2010  bezüglich CV-Nebenwirkungen in Verbindung mit einer ADT durchgeführt. Cochrane Collaboration tools wurden angewendet. Ergebnis: Männer mit kardialen Vorerkrankungen zu Studienbeginn zeigten in einem Cox Risikomodell ein 56 % niedrigeres relatives Risiko ein kardiales Ereignis oder Tod während des ersten Behandlungsjahres zu erleiden. Die absolute Risikoreduktion im ersten Jahr betrug 8,2 %, welches eine number needed to treat von 12 bedeutet. Mögliche Limitationen: Die folgenden möglichen Einflussfaktoren wurden in der Analyse berücksichtigt: Alter, BMI, CV-Anamnese, Bluthochdruck, Diabetes, Statin-Behandlung, Rauchen und Alkoholkonsum. Limitationen könnten sein Plasma Lipoprotein Lipidwerte, Glukose-Werte und Blutdruck, die nicht untersucht wurden. Patienten und Studienpersonal waren nicht verblindet. Aufgrund des Designs als post hoc Analyse können die Autoren Ergebnisverzerrungen   nicht ausschließen. (Als Sonderdruck bei FERRING Arzneimittel kostenlos erhältlich)
(2) Nanda A, Chen MH, Braccioforte MH, Moran BJ, D’Amico AV. Hormonal therapy use for prostate cancer and mortality in men with coronary artery disease-induced congestive heart failure or myocardial infarction. JAMA 2009; 302:866-73
(3) Nguyen PL, Je Y, Schutz FA, et al. Association of androgen deprivation therapy with cardiovascular death in patients with prostate cancer: a meta-analysis of randomized trials. JAMA 2011; 306:2359-66
(4) Bourke L, Kirkbride P, Hooper R, Rosario AJ, Chico TJ, Rosario DJ. Endocrine therapy in prostate cancer: time for reappraisal of risks, benefits and cost-effectiveness? Br.J Cancer 2013; 108:9-13
(5) Yeh ET, Bickford CL. Cardiovascular complications of cancer therapy: incidence, pathogenesis, diagnosis, and management. J Am. Coll. Cardiol. 2009; 53:2231-47
(6) Tsai HK, D’Amico AV, Sadetsky N, Chen MH, Carroll PR. Androgen deprivation therapy for localized prostate cancer and the risk of cardiovascular mortality. J Natl. Cancer Inst. 2007; 99:1516-24
(7) O’Farrell S, Garmo H, Holmberg L, Adolfsson J, Stattin P, Van Hemelrijck M. Risk and Timing of Cardiovascular Disease After Androgen-Deprivation Therapy in Men With Prostate Cancer. J Clin Oncol. 2015 Mar 2. pii: JCO.2014.59.1792. [Epub ahead of print]
(8) Van HM, Garmo H, Holmberg L, et al. Absolute and relative risk of cardiovascular disease in men with prostate cancer: results from the Population-Based PCBaSe Sweden. J Clin Oncol 2010; 28:3448-56
(9) Van HM, Folkvaljon Y, Adolfsson J, et al. Causes of death in men with localised prostate cancer: a nationwide, population-based study. BJU Int. 2015 Jan 21. doi: 10.1111/bju.13059. [Epub ahead of print]