Möglichst früh und möglichst niedrig? Welchen Einfluss hat der Testosteronnadir im Rahmen der Androgen-Deprivationstherapie
PD Dr. med. Jan Lehmann
Facharzt für Urologie
Zusatzbezeichnung: Medikamentöse Tumortherapie, Andrologie, Fachgebundene Röntgendiagnostik
Urologische Gemeinschaftspraxis
am Prüner Gang
Prüner Gang 15
24103 Kiel
Einleitung
In der Studie von Klotz und Kollegen1 wurde bei Prostatakarzinom-Patienten mit einer Androgen-Deprivationstherapie (ADT) untersucht, welchen Einfluss der Testosteronnadir im ersten Jahr nach Einleitung der Therapie auf klinische Endpunkte wie tumorspezifisches Überleben bzw. Zeit bis zur Entwicklung eines kastrationsresistenten Stadiums (CRPCa) hat.
Hintergrund
Kleinere retrospektive Studien haben gezeigt, dass Patienten mit einer kontinuierlichen ADT ein längeres Überleben aufweisen, wenn der Testosteron-Level unter einen Grenzwert von 0,7 nmol/l (20 ng/dl) fällt. Diese Studien basierten üblicherweise auf nur einer Testosteronmessung etwa 6 Monate nach Einleitung der ADT.
Die hier vorgestellte Studie von Klotz et al.1 untersuchte nun 626 Patienten, die im Rahmen einer größeren Vergleichsstudie mit einer kontinuierlichen ADT (CAD) im Vergleich zu einer Gruppe mit intermittierender ADT (IAD) behandelt worden waren.
Die ursprüngliche Studie von Crook et al.2 randomisierte Männer zwischen einer IAD und CAD, die ein PSA-Rezidiv nach definitiver Operation oder Strahlentherapie entwickelt hatten. Dabei zeigte sich letztlich keine Unterlegenheit der IAD-Gruppe im Gesamtüberleben (median 8,8 Jahre IAD versus 9,1 Jahre CAD).
Ergebnisse
Die von Klotz et al.1 ausgewerteten 626 Patienten aus dem CAD-Behandlungsarm wiesen einen steigenden PSA-Wert von > 3 ng/ml auf, der über dem PSA-Nadir nach Strahlentherapie liegen musste. Weiterhin durften keine Metastasen im CT oder Knochenszintigramm nachweisbar sein und der Baseline-Testosteronwert vor Einleitung der ADT musste bei > 5 nmol/l (> 144 ng/dl) liegen. Von den 626 Patienten lagen mehr als drei Testosteron-Messungen im ersten Jahr nach Beginn der CAD vor.
Die medianen Testosteronwerte innerhalb des ersten Jahres nach Einleitung der CAD aufgeteilt in drei Gruppen sind in Abb.1 links dargestellt und verteilen sich wie folgt: 53 % < 0,7 nmol/l, 42 % 0,7-1,7 nmol/l und 5 % > 1,7 nmol/l.
Abbildung 1: mediane Testosteronwerte innerhalb des ersten Jahres
nach Einleitung der CAD (links) und Verteilung der maximal
gemessenen Testosteronwerte im ersten Jahr nach Einleitung der
CAD (rechts) nach Klotz et al.1
Die Verteilung der maximal gemessenen Testosteronwerte im ersten Jahr ist in Abb.1 rechts dargestellt und zeigte 27 % < 0,7 nmol/l, 50 % 0,7 – 1,7 nmol/l und 23 % > 1,7 nmol/l.
Patienten mit einem dauerhaften Testosteronwert oberhalb von 0,7 nmol/l im ersten Jahr der CAD hatten ein signifikant höheres Risiko am Prostatakarzinom zu versterben, wobei die Gruppe 0,7 – 1,7 nmol/l (20 – 50 ng/dl) Testosteron eine Hazard Rate (HR) von 2,08 (95 % CI, 1,28 to 3,38) – also doppelt so hoch – und die Gruppe > 1,7 nmol/l eine HR von 2,93 (95 % CI, 0,70 to 12,30) – somit fast dreimal so hoch – im Vergleich zu Patienten mit einem Testosteron < 0,7 nmol/l aufwies.
Der Baseline-Testosteronwert vor Einleitung einer CAD hingegen zeigte keine Korrelation mit den genannten Endpunkten.
Da das Überleben im IAD-Arm gegenüber der CAD-Therapie in der ursprünglichen Studie von Crook et al.2 nicht unterlegen war, betrachteten Klotz et al.1 außerdem die Testosteronwerte der IAD Gruppe aus den ersten 8 Monaten. Sie bestätigen dabei ohne genauere Angaben eine ähnliche Verteilung der Testosteronwerte und eine Assoziation mit der Zeit bis zum Erreichen eines CRPCa wie in der CAD Gruppe.
Daraus folgern sie, dass das Erreichen von niedrigen Testosteronwerten vor allem in der Induktionsphase einer IAD bzw. Anfangsphase der CAD wichtig ist. Hingegen sei die Persistenz eines niedrigen Testosteronwertes über den Zeitraum von 8 – 12 Monaten nach Einleitung einer ADT hinaus möglicherweise sekundär. Sie unterstützen diese Hypothese aus bekannten in vitro Beobachtungen, bei denen Prostatakarzinomzellen heterogen in ihrem Ansprechen auf eine ADT reagieren, so dass bei nur mäßiger Testosteronabsenkung partiell resistente Zellen eher überleben und somit frühzeitiger zu einer Androgenresistenz der Erkrankung führen können.
Fazit
Die Empfehlung der Autoren lautet, dass bei Patienten innerhalb des ersten Jahres nach Einleitung einer ADT regelmäßig der Testosteronwert überprüft werden sollte.
Inwieweit der negative Einfluss erhöhter Testosteronwerte im ersten Jahr nach Beginn einer ADT durch das Hinzufügen eines Antiandrogens kompensiert werden kann – wie von anderen Autoren vorgeschlagen – ist dabei wissenschaftlich nicht ausreichend belegt.
Die Autoren weisen darauf hin, dass bei nicht‐Erreichen eines niedrigen Testosteronwertes unterhalb von 0,7 nmol/l (20 ng/dl) eine Umstellung auf eine alternative ADT (anderer Agonist oder Antagonist oder Orchiektomie) zu erwägen ist.
(1) Klotz L, et al. Nadir Testosterone Within First Year of Androgen-Deprivation Therapy (ADT) Predicts for Time to Castration-Resistant Progression: A Secondary Analysis of the PR-7 Trial of Intermittent Versus Continuous ADT. Journal of Clinical Oncology, 2015; 33:1151-1156
(2) Crook JM, et al. Intermittent androgen suppression for rising PSA level after radiotherapy. N Engl J Med. 2012 Sep 6;367(10):895-903. doi: 10.1056/NEJMoa1201546.